› Ohne heilige Zeiten leiden die Menschen ‹
Was lehrt uns die Geschichte über die Folgen coronabedingter Feier-Verbote ? Ein Gespräch mit dem Historiker und Soziologen Hasso Spode über eingemauerte Menschen, verhäuslichtes Trinken und die Tänze auf dem Vulkan.
Der Februar gehört normalerweise dem Rausch, und zwar jenem in der Gemeinschaft. Auf Grund der Pandemie finden dieses Jahr jedoch weder Fasching noch Bälle statt, Clubs sind schon seit Monaten zu, nicht einmal kleinere Partys zu Hause sind erlaubt. War das in früheren Pandemien auch so ?
Hasso Spode : Das kommt auf die Pandemie an. Während der schlimmsten Pandemie in Europa, der Schwarzen Pest um 1350, gab es sogar noch schärfere Quarantänemaßnahmen. Damals hat man die Leute einfach eingemauert in ihren Häusern. Sie bekamen dann ihr Essen über so einen Korb. Das kann man sehr schön nachlesen in Bertolt Brechts › Leben des Galilei ‹. Aber abgesehen davon ist das, was wir derzeit erleben, relativ beispiellos. Nehmen Sie die Hongkong-Grippe Ende der 1960er-Jahre. Die hat in Deutschland ähnlich viele Todesopfer gefordert wie bisher Covid-19, aber ich kann mich nicht erinnern, dass damals auch nur eine einzige Schule geschlossen wurde. Kneipen und Fußballstadien waren rammelvoll. Dabei wussten sie damals nicht mehr, wohin mit den Leichen. Sie haben sie in Gewächshäusern und stillgelegten U-Bahn-Schächten gelagert, habe ich jetzt nachgelesen. Wir haben heute einfach ein viel größeres Sicherheitsbedürfnis.
Wie verändert sich eine Gesellschaft, wenn das gemeinsame Feiern nicht mehr stattfinden kann ?
Grundsätzlich haben wir in der menschlichen Geschichte immer eine Aufteilung in heilige und profane Zeiten gehabt. Es gibt weltweit keine Kultur, in der die Menschen ihren Alltag nicht durch größere und kleinere Feste unterbrechen. Deshalb denke ich, dass die Menschen ohne diese heiligen Zeiten leiden – und irgendwann dagegen revoltieren werden. Man sieht ja schon die ersten Anzeichen : In der Bretagne machte zu Silvester eine mehrtägige illegale Party mit 2.500 Gästen Schlagzeilen. In der Nähe von Barcelona gab es einen ähnlichen Fall. Und natürlich sind es vor allem Jugendliche, die aus Protest feiern. Denn ihnen nehmen wir gerade die Sozialisationsphase weg.
Das müssen Sie erklären.
Nach der sogenannten Rekapitulationstheorie holt der Mensch ontogenetisch, also in seiner eigenen Entwicklung, die phylogenetische Entwicklung, also jene der Gesellschaft, in Kurzform nach. Da gibt es die Zeit, wo an Geister geglaubt wird, es gibt die Zeit, wo man eben Held ist, sich einordnet in die Gruppe, seine Position erkämpft. Und das ist die Zeit der Peer Groups. Die fehlt jetzt den jungen Leuten. Die verpassen jetzt ihre Jugend. Also verstehen Sie mich nicht falsch : Ich kann nachvollziehen, dass die Maßnahmen gesundheitspolitisch erforderlich sind, aber jugendpolitisch sind sie eine Katastrophe.
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